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Die Obermühle in Hochstädten
Geschichten und Gesichter aus der Hochstädter Bergbaugeschichte
Täglich passieren Anwohner oder Spaziergänger das vor einigen Jahren aufwendig sanierte Häuschen im Weiherweg Hausnummer 11. Nur wenigen ist bekannt, dass dieses Haus einmal zu den neun Mühlen im Hochstädter Tal gehörte und ein Teil der industriellen Bergbaugeschichte war.
Nach dem 30-jährigen Krieg nahm der Urvater aller Kaltwassers im Odenwald, Hans Kaltwasser (ca.1623/24 - 1685), den Betrieb der Getreidemühle, der „Stadenmühle", in Hochstädten wieder auf. Im Laufe der nächsten Jahrhunderte wechselten die Besitzer durch Heirat oder Verkauf stetig. Und aus der „Stadenmühle" wurde die „Obermühle".
Der Mühlgraben verlief einst von der Hofreite Schneider kommend hinter den Grundstücken im heutigen Weiherweg Hausnummer 4 bis 14 entlang und versorgte das oberschlächtige Mühlrad der Obermühle über eine Holzrinne mit Wasser. Der Verlauf ist im Gelände teilweise heute noch erkennbar. Bei dem Bau der Mauer zur Hangsicherung im Kurvenbereich im Weiherweg 2004 kamen die ehemaligen Rohrleitungen mit Resten vom Dichtungsmaterial „Bitumen“ (aus Erdöl gewonnenes Gemisch) zum Vorschein.
Von der Getreidemühle zur Marmormühle
Der Kauf 1877 durch Georg Valentin Mergler (1839-1894) brachte die größten Umbauarbeiten mit sich. Der
Sohn des angesehenen Bürgers und Ratsherren zu Bensheim, Georg Adam Mergler (1801-1859), besaß im heutigen Weiherweg, im Bereich Bangerts Höhe, einen Kalkstein- und Marmortagebau. Über einen Seilzug betrieb er eine „Gestänge-Wasserhaltung“ zur Trockenlegung eines Schachtes in seiner „Merglergrube“. Pläne von 1881 zeigen das gesamte Anwesen, bestehend aus verschiedenen Gebäudeteilen.
Sein Vorhaben war aber nicht von Erfolg gekrönt und im Jahr 1886 verkaufte er die Obermühle an seinen Mitbewerber Dr. Wilhelm Hoffmann (1836-1903). Bergbauingenieur Hoffmann hatte bereits die Untermühle nahe dem Forsthaus zur Marmormühle umgerüstet und stellte nach dem Kauf auch die Funktion der Obermühle um. Neben dem Mühlbetrieb diente das Anwesen auch als Ferienhaus für die jährlichen Besuche von Zwillingsbruder Franz Hoffmann (1836-1906) mit seiner Familie. Damals gab es noch eine direkte Verbindung zum heutigen Steinweg Richtung Forsthaus und Untermühle. Bilder aus dem Nachlass von Franz Hoffmann zeigen neben vielen Aufnahmen aus der Familie und Hochstädten auch den mit Oleandern geschmückten Hof der Obermühle.
Der Verfall der einstigen Obermühle
Nach dem Verkauf des gesamten Unternehmens 1903 an Dr. Ludwig Linck, wechselte auch die Obermühle
in seinen Besitz. Angrenzend erhielt er 1908 unter Auflagen die Genehmigung vom Großherzoglichen Kreisamt Bensheim einen Gasbrandkalkofen zu errichten. Über eine Gleishochbrücke erfolgte die Beschickung von oben mit Marmor aus dem Tagebau.
Zum Ende des 1. Weltkrieges wurde der Betrieb in der Obermühle komplett eingestellt und die noch verwertbaren Anlagen abgebaut. Im Laufe der Jahre verfiel das Anwesen immer mehr. Die Eheleute Heinrich und Katharina Gärtner erwarben 1926 den großen Gebäudekomplex von der „Dr. L. Linck Aktiengesellschaft“. Bereits zu diesem Zeitpunkt existierte das Mühlrad mit dem Mühlgraben nicht mehr. Zur kompletten Sanierung des Anwesens reichten die finanziellen Mittel der Familie damals nicht aus. Daher wurde auch nur der vordere und älteste Teil des Anwesens als Wohnraum genutzt.
Durch die Heirat der Tochter ging die Obermühle 1962 in den Besitz der Eheleute Bitsch über. Der größte Teil der mittlerweile baufälligen Mühle wurde bereits zwei Jahre später abgerissen und nur der älteste Gebäudeteil zum Weiherweg blieb erhalten. Nach der Fertigstellung des Neubaus, heutige Hausnummer 13, wurde die Obermühle vermietet.
Im Laufe der Jahrhunderte lebten viele Familien in und von der Obermühle. Ebenso ist das historische Gebäude auch ein Teil der Hochstädter Bergbaugeschichte. Heute erinnert nichts mehr an den einstigen Mühlenbetrieb mit der geschichtsträchtigen Vergangenheit. Geblieben ist ein liebevoll renoviertes Fachwerkhaus, das man vielleicht jetzt mit ganz anderen Augen betrachtet.
In Hochstädten gibt es so einige Anwesen mit interessanter Geschichte rund um die einstigen Bewohner.
Man muss nur hinter die Türen schauen!
Weitere Details und Bilder zum Thema „Spuren aus der Bergbaugeschichte in Hochstädten“ zeigt die
Stadtteil-Dokumentation Hochstädten in ihrer diesjährigen Ausstellung (30.10 - 01.11.2015). CS
Quelle: Material der Stadtteildokumentation Bensheim-Hochstädten;
„Der Bergbau auf Marmor bei Bensheim-Auerbach und Hochstädten“ von Michael Fettel
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